Wenn die Probezeit zur Hauptsache wird – Probezeit und befristete Arbeitsverhältnisse
- Anja Kömpf
- vor 5 Tagen
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Ein unbefristetes Arbeitsverhältnis ist ordentlich kündbar, wenn nichts anderes arbeitsvertraglich vereinbart (ist nur für den Arbeitgeber wirksam – selten) oder in einem Tarifvertrag geregelt ist. Hier ist die ordentliche Kündigungsmöglichkeit der Regelfall. Dagegen kann ein befristet abgeschlossenes Arbeitsverhältnis nur dann ordentlich gekündigt werden, wenn dies einzelvertraglich oder im anwendbaren Tarifvertrag vereinbart ist, § 15 Abs. 4 Teilzeitbefristungsgesetz (im Folgenden: TzBfG).
Die gesetzlichen Kündigungsfristen sind in § 622 BGB geregelt. $ 622 Abs. 1 BGB bestimmt: „Das Arbeitsverhältnis eines Arbeiters oder eines Angestellten (Arbeitnehmers) kann mit einer Frist von vier Wochen zum Fünfzehnten oder zum Ende eines Kalendermonats gekündigt werden.“ Dies ist die Grundnorm; bei längerer Betriebszugehörigkeit verlängern sich für den Arbeitgeber die Kündigungsfristen. Darauf muss hier nicht eingegangen werden, da diese verlängerten Fristen für den Problemaufriss keine Rolle spielen.
Die Parteien des Arbeitsvertrags können eine Probezeit vereinbaren. Dazu bestimmt § 622 Abs. 3 BGB: „Während einer vereinbarten Probezeit, längstens für die Dauer von sechs Monaten, kann das Arbeitsverhältnis mit einer Frist von zwei Wochen gekündigt werden.“
Von dieser Möglichkeit kann sowohl im unbefristeten als auch im befristeten Arbeitsverhältnis Gebrauch gemacht werden. Die Regelung gilt dann für beide Parteien, also für Arbeitgeber und Arbeitnehmer. Die Vereinbarung einer Probezeit mit der verkürzten Kündigungsfrist nach § 622 Abs. 3 BGB ist in der Praxis der Regelfall.
Im befristeten Arbeitsverhältnis stellt sich nun die – äußerst umstrittene – Frage, wie lange die Probezeit dauern darf, zumal bei relativ kurz befristeten Arbeitsverhältnissen (z. B. bis zu einem Jahr). Nähert sich die vereinbarte Dauer der Probezeit der Dauer der Befristung an, entsteht das eigenartige Konstrukt, dass nahezu das gesamte Arbeitsverhältnis der „Erprobung“ des Arbeitnehmers dient. Das widerspricht aber dem Zweck der „Erprobung“, die von einer Einarbeitung des Arbeitnehmers begleitet sein soll. Außerdem steht es dem Grundsatz der Rechtsklarheit entgegen. So bestimmt § 15 Abs. 3 TzBfG: „Wird für ein befristetes Arbeitsverhältnis eine Probezeit vereinbart, so muss diese im Verhältnis zu der erwarteten Dauer der Befristung und der Art der Tätigkeit stehen.“
Allerdings schweigt die genannte Vorschrift dazu, wie sich dieses „Verhältnis“ berechnet. Da der Gesetzgeber die Rechtsanwender im Unklaren gelassen hat, läuft eine lebhafte Diskussion zum aufgeworfenen Thema.
Dazu möchte ich zwei wichtige aktuelle Entscheidungen des Bundesarbeitsgerichts (BAG) vorstellen, von denen die eine aus dem Jahr 2024 und die zweite brandaktuell von Ende Oktober 2025 stammt.
BAG, Urt. v. 05.12.2024 – 2 AZR 275/23
Der Leitsatz der Entscheidung lautet: „Die Vereinbarung einer Probezeit, die der Gesamtdauer des befristeten Arbeitsverhältnisses entspricht, ist in der Regel unverhältnismäßig.“
Zum Sachverhalt: Der Arbeitnehmer (und Kläger) arbeitete auf Grundlage des Arbeitsvertrags vom 22.08.2022 beim Beklagten, der ein Autohaus betreibt.
Auszug aus dem Arbeitsvertrag:
1. Der Arbeitnehmer wird ab 01.09.2022 als Serviceberater/Kfz-Mechaniker eingestellt.
2. Die Einstellung erfolgt zunächst zur Probe bis zum 28.02.2023. Das Probearbeitsverhältnis endet, ohne dass es einer Kündigung bedarf. Wird das Arbeitsverhältnis nach Ablauf der Probezeit fortgesetzt, so gilt es als auf unbestimmte Zeit begründet.
Während der Probezeit kann das Arbeitsverhältnis beiderseits mit einer Frist von 2 Wochen schriftlich gekündigt werden.“
Der Beklagte, also der Arbeitgeber kündigte das Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 28.10.2022 zum 11.11.2022.
Der Kläger hat fristgerecht Kündigungsschutzklage erhoben.
Er vertrat u. a. (die von der aufgeworfenen Problematik nicht umfassten Streitpunkte seien hier vernachlässigt) die Auffassung, dass die geregelte Probezeit nicht im Verhältnis zu der erwarteten Dauer der Befristung und der Art der Tätigkeit steht. Eine hilfsweise Kündigung zum nächstmöglichen Zeitpunkt habe der Beklagte nicht ausgesprochen, weswegen das Arbeitsverhältnis ungekündigt fortbestehe.
Das Arbeitsgericht hat die Klage durch Versäumnisurteil abgewiesen. Das LAG hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen.
Nach der Entscheidung des BAG ist die Revision des Klägers nur teilwiese erfolgreich und wurde im Übrigen zurückgewiesen.
Das BAG urteilte, dass das Arbeitsverhältnis erst mit Ablauf des 30.11.2022 beendet wurde. Zunächst wurde festgestellt, dass eine Beendigung durch eine ordentliche Kündigung möglich war. Die Vereinbarung einer sechsmonatigen Probezeit verstoße zwar gegen § 15 Abs. 3 TzBfG. Das lasse indes die vereinbarte ordentliche Kündigungsmöglichkeit (§ 15 Abs. 4 TzBfG) als solche unberührt. Der Verstoß gegen § 15 Abs. 3 TzBfG führe lediglich dazu, dass der Beklagte nicht mit der verkürzten zweiwöchigen Frist des § 622 Abs. 3 BGB kündigen konnte.
Nach Ansicht des BAG ist die vereinbarte Probezeit von sechs Monaten unverhältnismäßig i. S. v. § 15 Abs. 3 TzBfG und deshalb rechtsunwirksam. Endet das Arbeitsverhältnis durch eine Befristung, dürfe eine vereinbarte Probezeit jedenfalls ohne Hinzutreten von besonderen Umständen nicht der gesamten Dauer der Befristung entsprechen.
Das BAG weiter: Durch § 15 Abs. 3 TzBfG werden die Vorgaben des entsprechend formulierten Art. 8 Abs. 2 Satz1 aus Kapitel III („Mindestanforderungen an die Arbeitsbedingungen“) der Richtlinie (EU) 2019/1152 (im Folgenden: RL) umgesetzt. Genau wie § 15 Abs. 3 TzBfG enthält auch Art. 8 Abs. 2 Satz 1 der RL keine ausdrückliche Regelung zur zulässigen absoluten oder relativen Dauer einer Probezeit im befristeten Arbeitsverhältnis. Ein Änderungsantrag im Europäischen Parlament, wonach bei Befristungen mit einer Dauer von weniger als zwölf Monaten die Probezeit höchstens 25 % der der erwarteten Vertragsdauer betragen dürfen, wurde nicht Inhalt der RL.
Die Unbestimmtheit der unionsrechtlichen Vorgaben hat auch der deutsche Gesetzgeber erkannt; er hat sich aber gleichwohl nicht zu einer Konkretisierung der tatbestandlichen Voraussetzungen des § 15 Abs. 3 TzBfG entschlossen. (Im Schrifttum gibt es zahlreiche Meinungen zur Verhältnismäßigkeit der vereinbarten Dauer der Probezeit zur Dauer der Befristung, die hier auszubreiten aber den Rahmen sprengen würde)
Das BAG musste jedenfalls nicht entscheiden, nach welchen Grundsätzen sich die Dauer der vereinbarten Probezeit zur Dauer der Befristung verhält. Nach Ansicht des Senats konnte vor allem dahinstehen, ob die Arbeitsgerichte berechtigt sind, § 15 Abs. 3 TzBfG auszugestalten, indem sie feste Bezugsgrößen für die maßgeblichen Parameter (Probezeit-/ Befristungsdauer) bestimmen. Vorliegend ist nach Ansicht des BAG ein klarer Fall der Unwirksamkeit der Vereinbarung der Probezeit gegeben, weil die Dauer der Probezeit der gesamten Dauer der Befristung des Arbeitsverhältnisses entspricht. Das BAG argumentiert folgendermaßen:
Der Wortlaut des § 15 Abs. 3 TzBfG verlangt ein „Im-Verhältnis-Stehen“. Das lässt nur eine Auslegung der Norm zu, wonach die Probezeit – unabhängig von der Art der Tätigkeit – nur einen Teil der Befristung, nicht jedoch ihre gesamte Dauer umfassen kann. Ein Ins-Verhältnis-Setzen-würde sich erübrigen, wenn Probezeit und Befristung gleich lang sein könnten.
Der Verstoß gegen § 15 Abs. 3 TzBfG lässt die Probezeitvereinbarung entfallen. Das BAG betont, dass sie nicht auf die zulässige Dauer zu verkürzen ist. Augenscheinlich handelt es sich im vorliegenden Fall um Allgemeine Geschäftsbedingungen (AGB) i. S. v. § 305 Abs. 1 BGB. Eine geltungserhaltende Reduktion ist hier nicht möglich. Damit kommt die Anwendung des § 622 Abs. 3 BGB nicht mehr in Betracht.
Die Rechtsunwirksamkeit der vereinbarten Probezeit lässt – so das BAG nochmal – die ordentliche Kündigungsmöglichkeit unberührt. Weder § 15 Abs. 3 TzBfG noch Art. 8 Abs. 2 Satz 1 der RL regeln die Rechtsfolgen einer zu langen Probezeitvereinbarung. Die ordentliche Kündbarkeit soll jedenfalls dann bestehen, wenn die darauf bezogene Vereinbarung neben der Probezeitvereinbarung getroffen wurde. Das BAG wendet mit seinen Ausführungen also konsequent den sog. Blue-pencil-Test an. Danach kann eine teilbare AGB-Klausel mit ihrem zulässigen Teil fortbestehen. Auch aus § 306 Abs. 1 BGB ergibt sich, dass AGB, die ganz oder teilweise unwirksam sind, den Vertrag im Übrigen bestehen lassen.
BAG, Urt. v. 30.10.2025 – 2 AZR 160/24 Pressemitteilung Nr. 40/25
Hier hat das BAG erkannt: Für die Verhältnismäßigkeit einer vereinbarten Probezeit in einem befristeten Arbeitsverhältnis i. S. v. § 15 Abs. 3 TzBfG gibt es keinen Regelwert. Vielmehr soll stets eine Einzelfallabwägung unter Berücksichtigung der erwarteten Dauer der Befristung und der Art der Tätigkeit durchzuführen sein.
Zum Sachverhalt: Die Klägerin war bei der Beklagten seit 22.08.2022 als Advisor/Customer Service angestellt. Das Arbeitsverhältnis war auf ein Jahr befristet und sollte mit den gesetzlichen Fristen kündbar sein. Die Parteien vereinbarten außerdem eine Probezeit mit einer Dauer von vier Monaten, innerhalb derer mit einer zweiwöchigen Frist gekündigt werden kann.
Die Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis mit einem am 10.12.2022 zugegangenen Schreiben ordentlich zum 28.12.2022.
Mit ihrer daraufhin erhobenen Klage hat die Klägerin zunächst geltend gemacht, dass die viermonatige Probezeit unverhältnismäßig lang sei. Sie vertrat die Auffassung, dass das Arbeitsverhältnis frühestens mit der gesetzlichen Frist des § 622 Abs. 1 BGB zum 15.01.2023 beendet werden kann. Des Weiteren war sie der Meinung, die Unwirksamkeit der Probezeitklausel führe dazu, dass das Arbeitsverhältnis ohnehin nicht ordentlich gekündigt werden kann. Es sei kein Fall des § 15 Abs. 4 TzBfG, also ein solcher der vereinbarten ordentlichen Kündigungsmöglichkeit gegeben. Selbst wenn man dies anders sähe, fehle es der Kündigung an ihrer sozialen Rechtfertigung, weil die Wartezeit des § 1 Abs. 1KSchG nur so lange dauern könne wie eine zulässig vereinbarte verhältnismäßige Probezeit- Diese sei vorliegend auf drei Monate zu beschränken.
Das LAG (Berlin-Brandenburg, Urt. v. 02.07.2024 – 19 Sa 1150/23) hat die Dauer der Probezeit als unverhältnismäßig eingestuft. Ein Regelwert von 25 % sei angemessen, mithin hier drei Monate. Gründe, davon abzuweichen, lägen nicht vor. Das LAG erachtete die Kündigung als wirksam; das Arbeitsverhältnis könne durch die Kündigung jedoch erst zum 15.01.2023 beendet werden.
Die Revision der Klägerin, die nach wie vor eine vollständige Unwirksamkeit der Kündigung festzustellen begehrt, blieb vor dem BAG erfolglos. Dagegen hat der Senat auf die Anschlussrevision der Beklagten hin das Berufungsurteil teilweise aufgehoben und die Klage insgesamt abgewiesen. Das BAG widersprach der Annahme des LAG, es sei von einem Regelwert von 25 % der Dauer der Befristung für eine verhältnismäßige Probezeit auszugehen. Entscheidend seien die Umstände des Einzelfalls. Im vorliegende Fall sei die Probezeitdauer von vier Monaten verhältnismäßig: Die Beklagte habe einen detaillierten Einarbeitungsplan erstellt, der insgesamt 16 Wochen umfasst. Erst nach diesen 16 Wochen sei eine Einsatzfähigkeit der Mitarbeiterin prognostiziert gewesen.
Das BAG widersprach auch der Annahme der Klägerin, die Wartezeit des § 1 Abs.1 KSchG sei zu verkürzen. Der Senat hielt sich an den Wortlaut der Norm, wonach eine Kündigung der sozialen Rechtfertigung bedarf, wenn das Arbeitsverhältnis in demselben Betrieb ohne Unterbrechung länger als sechs Monate bestanden hat.
Vorläufiges Fazit:
Die beiden höchstrichterlichen Entscheidungen lassen Folgendes als (einigermaßen) gesichert erkennen:
Das BAG fühlt sich nicht berufen, die Untätigkeit des Gesetzgebers im Hinblick auf eine nähere Ausgestaltung des § 15 Abs. 3 TzBfG durch starre Regelwerte auszugleichen. Die jüngste Entscheidung plädiert für eine Abwägung im Einzelfall. Die 25 % - Grenze verwirft das BAG in seiner neuesten Entscheidung zumindest insofern, als dass sie nicht ohne Hinzutreten bestimmter Umstände automatisch angewendet werden kann. Diese Sichtweise entspricht dem Unionsrecht, das gleichfalls keine solche Regelung verankert hat. Beide hier vorgestellten höchstrichterlichen Entscheidungen gehen ferner davon aus, dass die Unverhältnismäßigkeit der Dauer der Probezeit im befristeten Arbeitsverhältnis nicht dazu führt, dass die Möglichkeit einer ordentlichen Kündigung entfällt. Letzteres soll jedenfalls dann gelten, wenn der Arbeitsvertrag die ordentliche Kündbarkeit getrennt von der Dauer der Probezeit regelt („Blue-pencil-Test“).