Erschütterung des Beweiswerts der ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung – vom „gelben Zettel“ zur roten Karte?
- Anja Kömpf
- 2. Dez. 2024
- 9 Min. Lesezeit
Ohne Arbeit kein Lohn. Aus diesem Grundsatz des deutschen Arbeitsrechts (vgl. §§ 612, 614 BGB) folgte eigentlich, dass der erkrankte Arbeitnehmer, der nicht arbeiten kann, kein Geld erhält. Dieser Grundsatz wird aber durchbrochen, indem § 3 Abs. 1 Entgeltfortzahlungsgesetz (EFZG) bestimmt: „Wird ein Arbeitnehmer durch Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit an seiner Arbeitsleistung verhindert, ohne dass ihn ein Verschulden trifft, so hat er Anspruch auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall durch den Arbeitgeber für die Zeit der Arbeitsunfähigkeit bis zur Dauer von sechs Wochen.“
Den allgemeinen Regeln der Darlegungs- und Beweislastverteilung folgend muss der Arbeitnehmer darlegen und im Bestreitensfall beweisen, dass er arbeitsunfähig erkrankt ist. Diesen Nachweis führt er in aller Regel über die Vorlage einer ärztlichen Bescheinigung (§ 5 Abs. 1 EFZG bzw. § 5 Abs. 1 a EFZG – Feststellung bei in der gesetzlichen Krankenkasse versicherten Arbeitnehmern). Seit jeher gilt der Beweiswert einer ordnungsgemäß ausgestellten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (AUB) – in Papierform vorliegend oft als „gelber Zettel“ bezeichnet – als sehr hoch.[1]
Indes begründet die ärztliche AUB keine gesetzliche Vermutung einer tatsächlich bestehenden Arbeitsunfähigkeit i. S. d. § 292 ZPO, womit der Beweis des Gegenteils erbracht werden müsste. Andererseits genügt auf Grund der normativen Grundwertung eines hohen Beweiswerts der AUB nicht, dass der Arbeitgeber die ärztlich bescheinigte Arbeitsunfähigkeit einfach bestreitet (Urteil vom 08.09.2021 – 5 AZR 149/21 m. w. N.).
Der Arbeitgeber kann den hohen Beweiswert der AUB indes erschüttern – so die nicht mehr wegzudenkende Terminologie im Kontext missbräuchlich bescheinigter Arbeitsunfähigkeit. Dazu muss er tatsächliche Umstände darlegen und im Bestreitensfall beweisen, die Zweifel an der Erkrankung des Arbeitnehmers begründen und die den Beweiswert ernsthaft in Frage stellen. Gelingt es dem Arbeitgeber den Beweiswert der AUB zu erschüttern, so tritt hinsichtlich der Darlegungs- und Beweislast wieder derselbe Zustand ein wie er vor der Vorlage der Bescheinigung bestand. Dem Arbeitnehmer ist dann aufgegeben, konkrete Tatsachen dazutun und im Bestreitensfall zu beweisen, die den Schluss auf die bestehende Erkrankung zulassen. Es bedarf dafür eines substantiierten Vortrags, welche Krankheiten und gesundheitlichen Einschränkungen vorliegen bzw. vorgelegen haben, welche Behandlung/ Medikamente erforderlich sind bzw. waren etc. (vgl. BAG, a.a.O.). Der Vortag muss außerdem den gesamten Zeitraum der Entgeltfortzahlung umfassen. Beruft sich der Arbeitnehmer auf das Zeugnis seines behandelnden Arztes, so muss er diesen von der Schweigepflicht entbinden (BAG, a.a.O.).
Der Gesetzgeber nennt selbst zwei Fälle, in denen Zweifel an der Arbeitsunfähigkeit aufkommen, und zwar in § 275 Abs. 1 a SGB V, wo es heißt:
a) Versicherte auffällig häufig oder auffällig häufig nur für kurze Dauer arbeitsunfähig sind oder der Beginn der Arbeitsunfähigkeit häufig auf einen Arbeitstag am Beginn oder am Ende einer Woche fällt oder
b) die Arbeitsunfähigkeit von einem Arzt festgestellt worden ist, der durch die Häufigkeit der von ihm ausgestellten Bescheinigungen über Arbeitsunfähigkeit auffällig geworden ist.
Diese Beispiele sind nicht abschließend („insbesondere“, § 275 Abs. 1a SGB V) für berechtigte Zweifel an der krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit eines Arbeitnehmers.[2]
Als Klassiker in diesem Zusammenhang ist der Fall bekannt, dass der Arbeitnehmer seine Krankheit nach einem Streit mit dem Arbeitgeber vor Ausstellung einer AUB ankündigt (vgl. LAG Frankfurt, Urteil vom 24.02.1975 – 1 Sa 1043/74, BB 1976, 90). Zu denken ist auch an die Fälle einer vorherigen Abmahnung, das Thematisieren eines Aufhebungsvertrags, eine verweigerte Gehaltserhöhung, die Einladung zu einem Personalgespräch u. a. (vgl. Barrein, NZA-RR 2024, 563).
Insgesamt war es bislang schwierig für Arbeitgeber, entgegen einer ordnungsgemäß ausgestellten ärztlichen AUB überzeugende Umstände darzulegen und zu beweisen, die an der Arbeitsunfähigkeit zweifeln lassen. Neben der im Gesetz angelegten großen Bedeutung der AUB fehlen dem Arbeitgeber in der Regel Kenntnisse über den Grund und Verlauf einer Erkrankung des Arbeitnehmers und dessen Verhalten im Krankenstand. Nicht selten sind es Zufallsfunde (Fotos des Arbeitnehmers bei Facebook, die ihn etwa unter Palmen oder beim Fasching zeigen), die für Irritation und Empörung beim Arbeitgeber sorgen, deren Durchschlagskraft als Kündigungsgrund allerdings immer wieder insbesondere durch den Vortrag zu seelischen Belastungen am Arbeitsplatz leidet. Wer unter dem Druck am Arbeitsplatz leide, könne etwas Abwechslung gebrauchen – so heißt es dann vor dem Arbeitsgericht. Neben diesem Exkurs zum Themenkreis „Krankheit ist nicht Bettlägerigkeit“ soll es hier aber um die folgende neuere Rechtsprechung gehen:
Positive Resonanz von Arbeitgebern und ihnen zugewandten Rechtsanwälten erfahren neuere Entscheidungen des BAG und einiger Landesarbeitsgerichte (LAG), in denen der Beweiswert einer AUB als erschüttert angesehen wurde.
Als eine Fallgruppe lässt sich die zeitliche Koinzidenz zwischen der Dauer der bescheinigten Arbeitsunfähigkeit sowie Beginn und Ende der Kündigungsfrist ausmachen.
Zunächst entschied das BAG (Urteil vom 08.09.2021 – 5 AZR 149/21, vgl. oben), dass der Beweiswert einer AUB nach der Kündigung durch den Arbeitnehmer mit einem Krankheitszeitraum „passend“ zur laufenden Kündigungsfrist Zweifel entstehen lässt, also im Jargon des AUB-Rechts „erschüttert“ werden kann.[3]
Ganz auf dieser Linie liegt die jüngere Entscheidung des BAG vom 18.09.2024 (5 AZR 29/24): Im Fall hatte der Arbeitnehmer das Arbeitsverhältnis selbst gekündigt. Am Abend desselben Tages suchte die Abteilungsleiterin den Arbeitnehmer zuhause auf und verlangte den Firmenlaptop und andere dem Arbeitnehmer überlassene Arbeitsmittel heraus. Am darauffolgenden Arbeitstag erhielt der Arbeitgeber eine AUB. Sodann erhielt er eine Folgebescheinigung, die den Arbeitnehmer bis zum letzten Tag der Kündigungsfrist krankschrieb. Am ersten Tag nach der Beendigung des Arbeitsverhältnisses trat der Arbeitnehmer eine neue Stelle an.
Abermals auf den zeitlichen Gleichlauf von Krankschreibung und Kündigungsfrist hatte das BAG im Jahr 2023 abgestellt (Urteil vom 13.12.2023 – 5 AZR 137/23): In diesem Fall war der Arbeitnehmer bereits arbeitsunfähig erkrankt und eine AUB ausgestellt worden. Einen Tag danach ging die Kündigung des Arbeitsverhältnisses durch den Arbeitgeber dem Arbeitnehmer zu. Der Arbeitnehmer wies seine anhaltende Arbeitsunfähigkeit durch eine Folgebescheinigung aus; eine zweite Folgebescheinigung deckte den Zeitraum bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses ab. In diesem Fall begann der Arbeitnehmer ebenfalls am Tag nach Ablauf der Kündigungsfrist auf einem neuen Arbeitsplatz zu arbeiten. Hier wertete das BAG u. a. als Auffälligkeit, dass die ersten beiden AUB an einem Freitag endeten, wohingegen die dritte Bescheinigung den Zeitraum bis zum Ende der Kündigungsfrist an einem Dienstag auswies.
Weiter gefächert über die zeitliche Deckung von Krankschreibung und Kündigungsfrist hinaus ist der der Entscheidung des LAG Niedersachsen vom 31.05.2024 (14 Sa 618/23) zu Grunde liegende Sachverhalt. Nachdem der Arbeitgeber den Kündigungsschutzantrag des Arbeitnehmers vor dem Arbeitsgericht anerkannt hatte, war der Arbeitnehmer zunächst zur Arbeit erschienen (Darüber könnte man sich bereits wundern, da er später vortrug, gerade infolge des Prozesses unter gesundheitlichen Beschwerden zu leiden). Als ein schon vor längerem gestellter Urlaubsantrag des Arbeitnehmers abgelehnt wurde, erfolgte die Krankmeldung. Der Zeitpunkt der Krankmeldung fiel zudem mit einer Arbeitsanweisung des Arbeitgebers zusammen, deren Befolgung dem Arbeitnehmer offenbar nicht gelegen kam. Die Dauer der Krankschreibung endete just an dem Tag bevor der Arbeitnehmer seinen Segelurlaub antrat. Neben weiteren Indizien erblickte das LAG in den genannten Umständen, namentlich den Aktivitäten des Arbeitnehmers nach der Krankschreibung, Anhaltspunkte für eine Erschütterung des Beweiswerts der AUB. Dazu kam, dass die angegebenen Beschwerden nicht mit den in den AUB genannten Diagnosen übereinstimmten, insbesondere nicht mit dem unspezifischen ICD-Code. Das LAG monierte ferner, dass entgegen der Arbeitsunfähigkeitsrichtlinie (AURL) die spezifische Diagnose wie sie nach sieben Tagen erforderlich ist fehlte.
Im Mittelpunkt des Urteils des LAG Niedersachsen vom 18.04.2024 (6 Sa 416/23) standen Verstöße des ausstellenden Arztes gegen bestimmte Vorgaben der AURL. Obgleich die AURL in § 5 EFZG nicht ausdrücklich genannt wird, zeigt das Urteil des LAG um ein weiteres Mal, dass jedenfalls die Bestimmungen der AURL, die sich auf medizinische Erkenntnisse zur sicheren Feststellung der Arbeitsunfähigkeit beziehen, bei der Frage der Glaubwürdigkeit herangezogen werden.[4] Im Entscheidungsfall fehlte es gleich zweimal an einer persönlichen Vorstellung der Arbeitnehmerin beim Arzt.[5] Zwar wurde die zweite Folgebescheinigung nach einer persönlichen Vorstellung beim behandelnden Arzt erteilt; diese krankte (anders als wohl die Arbeitnehmerin) aber daran, dass sie entgegen § 5 Abs. 5 AURL für einen Zeitraum von mehr als zwei Wochen ausgestellt wurde. Das LAG wertete den Vortrag der Arbeitnehmerin in diesem Zusammenhang als unzureichend, wenn diese anführte, ihre Beschwerden seien im maßgeblichen Zeitraum „nicht besser geworden“. Sie hatte sich für den gesamten Zeitraum der Krankschreibung darauf berufen, an einem Magen- und Darminfekt gelitten zu haben.
Wenn die Kündigungsfrist „passgenau“ erwischt wird – das beschäftigte auch das LAG Mecklenburg-Vorpommern in seinem Urteil vom 07.05.2024 (5 Sa 98/23). Nach Zugang seiner Eigenkündigung präsentierte der Arbeitnehmer eine Erstbescheinigung und eine Folgebescheinigung und letztere erfasste den Zeitraum bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses. Am ersten Tag seiner „Genesung“ (bzw. am letzten Tag der Krankschreibung) begann der Arbeitnehmer eine neue Beschäftigung. Das LAG sah hierin den Beweiswert erschüttert. Der Vortrag des Arbeitnehmers war auch alles andere als „rund“ – jedenfalls sah das LAG eine Diskrepanz zwischen Diagnose (u. a. F.2 G – Anpassungsstörung) und den geschilderten Symptomen.[6]
Auch das LAG Berlin-Brandenburg hatte sich mit dem Sachverhalt der „passgenauen“ Krankheit zur Kündigungsfrist zu befassen (Urteil vom 05.07.2024 – 12 Sa 1266/23). Nach „mündlicher Arbeitgeberkündigung“ meldete sich der Arbeitnehmer krank. Sodann kündigte der Arbeitgeber rechtswirksam schriftlich; der Arbeitnehmer reichte schließlich eine AUB bis zum Ende der Kündigungsfrist herein. Die Passgenauigkeit als erstes Indiz für eine erschütterten Beweiswert der AUB wertend, hatte das LAG zudem angesichts der sportlichen, zumal wettkampfmäßigen, Aktivitäten des Arbeitnehmers während seiner Krankschreibung größere Zweifel an dessen Arbeitsunfähigkeit. Nachdem der Arbeitnehmer zunächst als Handballspieler aktiv geworden war, trat er anderntags als Schiedsrichter an. Das Gericht bemerkte, dass derlei Aktivitäten eine robuste körperliche Verfassung voraussetzten, was nicht mit der behaupteten Arbeitsunfähigkeit harmonierte. Allerdings gibt das LAG hier den Hinweis, dass sportliche Aktivitäten für sich genommen nicht geeignet seien, Zweifel an einer Arbeitsunfähigkeit hervorzurufen. Das LAG hebt aber auf die ungünstige Beweissituation ab, in der der Arbeitgeber sich befinde.
„Passgenau“ in den Kontext lässt sich auch das Urteil des LAG Schleswig-Holstein vom letzten Jahr (Urteil vom 02.05.2023 – 2 Sa 203/22) einordnen.[7] Im zu entscheidenden Fall hatte die Arbeitnehmerin ein Kündigungsschreiben verfasst, in welchem sie zugleich elf Tage Urlaub beantragte. Diese deckten allerdings nur einen Teil der Kündigungsfrist ab. In dem Schreiben bat sie außerdem darum, ihr die Kündigungsbestätigung, die Arbeitspapiere und ein Arbeitszeugnis an ihre Privatadresse zu schicken. Schließlich bedankte sie sich für die bisherige Zusammenarbeit und wünschte dem Unternehmen alles Gute. Dieses Schreiben ist wohl wirklich als ein Adieu zu verstehen – das Wiedersehen aber nur als Floskel. Denn einen Tag nach dem Tag, auf den das Kündigungsschreiben datiert, wurde die Arbeitnehmerin krank. Verteilt über mehrere Bescheinigungen wurde der Arbeitnehmerin bis passgenau zum Ende der Kündigungsfrist bescheinigt, arbeitsunfähig erkrankt zu sein. Den Vortrag des Arbeitgebers, der Beweiswert der AUB sei erschüttert, hielt die Arbeitnehmerin zwar Beschwerden entgegen. Diese seien auf Grund einer psychischen Belastung am Arbeitsplatz entstanden. Diesen Vortrag konnte die Arbeitnehmerin nach Ansicht des LAG nicht ausreichend belegen. Der insoweit von der Schweigepflicht entbundene Arzt hatte – nach Auffassung des LAG glaubhaft – ausgesagt, die Patientin nicht untersucht zu haben. Er habe ihr ihre Krankheitssymptome geglaubt.
Es wäre sicherlich verfrüht, angesichts der neueren Rechtsprechung eine Kehrtwende zum Beweiswert von AUB auszurufen. Man wird allein die „Passgenauigkeit“ von Krankheitsende und Ablauf der Kündigungsfrist nicht als Garant für vorgeschobene Erkrankungen verstehen können. Tritt der oder die Kranke aber just am ersten Tag nach dem Ende der Krankschreibung eine neue Stelle an, besteht jedenfalls erhöhter Begründungsbedarf auf Arbeitnehmerseite. Handelt es sich außerdem und ggf. zusätzlich um Sachverhalte, in denen die relevanten Bestimmungen der AURL missachtet worden sind, liegen sicherlich den Beispielen in § 275 Abs. 1a SGB V vergleichbare Anhaltspunkte vor. In beiderlei Hinsicht bleibt spannend, ob die Rechtsprechung weitere Feinheiten herausarbeiten wird, ab wann der Beweiswert der AUB erschüttert wird. Interessant wird vor allem, ob die arbeitgeberfreundliche Tendenz in der neueren Rechtsprechung auch in den anderen diskutierten klassischen Fällen vorgetäuschter Krankheit (Arbeiten im Nebenjob, Urlaub in der prallen Sonne – kurzum: Bedeutet Krankheit Bettlägerigkeit?) einen Niederschlag findet.[8] Die ungünstige Beweislage des Arbeitgebers verdient sicherlich eine realitätsnähere Betrachtung. Ob und wie stark sie für sich genommen in der Gewichtung der Indizien heranzuziehen ist, bleibt bislang unklar (vgl. LAG Berlin-Brandenburg, a. a. O.).
Stellt sich heraus, dass der Arbeitnehmer seine Krankheit nur vorgetäuscht hat, entfällt freilich der Entgeltfortzahlungsanspruch nach § 3 Abs. 1 EFZG. Eine bereits geleistete Entgeltfortzahlung kann der Arbeitgeber nach § 812 Abs. 1 Satz 1 1. Alt. BGB zurück fordern, da die Zahlung ohne rechtlichen Grund erfolgt ist. Zudem ist der Arbeitgeber berechtigt, das Arbeitsverhältnis außerordentlich fristlos aus wichtigem Grund zu kündigen (vgl. LAG Hessen, Urteil vom 01.04.2009 – 6 Sa 1593/08). Dann wird der zu Unrecht ausgestellte „gelbe Zettel“ zur „roten Karte“. Im bereits fast beendeten Arbeitsverhältnis ist das zwar ein stumpfes Schwert – allerdings sollte der Arbeitnehmer nicht auf ein allzu überschwängliches Arbeitszeugnis hoffen. Schließlich erhält der Arbeitnehmer im worst case nicht mehr „gelbe Blätter“ vom Arzt, sondern Post von der Staatsanwaltschaft. Die erschlichene Lohnfortzahlung stellt einen Betrug zu Lasten des Arbeitgebers dar. Letzteres allerdings nur für die Dauer des sechswöchigen Entgeltfortzahlungszeitraums.
[1] Der Gesetzgeber entzieht dem Arbeitgeber sein Recht zur Leistungsverweigerung nach § 7 Abs. 1 EFZG, sobald der Arbeitnehmer eine ärztliche Bescheinigung i. S. d. § 5 Abs. 1 EFZG vorlegt. Damit ist eine normative Entscheidung zu Gunsten einer hohen Beweiskraft der ärztlichen AUB gefallen. Die Gesetzesbegründung zur elektronischen Meldung nach § 109 Abs. 1 Satz1 SGB IV hat die in § 5 Abs. 1a Satz 2 EFZG vorgesehene Papierbescheinigung als „gesetzlich vorgesehenes Beweismittel mit dem ihr von der Rechtsprechung zugebilligten hohen Beweiswert“ bezeichnet und damit diese Bewertung übernommen.
[2] Ernstlich zweifelnde Arbeitgeber können von der Krankenkasse verlangen, dass diese eine gutachterliche Stellungnahme vom Medizinischen Dienst (MD) einholt, vgl. § 275 Abs. 1a Satz 3 SGB V). Durch die Stellungnahme des MD kann der Beweiswert der AUB erschüttert werden. Der Arbeitgeber ist aber nicht gezwungen, diesen Weg zu beschreiten. Eine andere Vorgehensweise ist dem Arbeitgeber unbenommen (vgl. LAG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 05.07.2024 – 12 Sa 1266/23).
[3] Der Leitsatz des Urteils lautet: „Wird ein Arbeitnehmer, der sein Arbeitsverhältnis kündigt, am Tag der Kündigung krankgeschrieben, kann dies den Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung dann erschüttern, wenn die bescheinigte Arbeitsunfähigkeit passgenau die Kündigungsfrist umfasst.“
[4] Zu den Bestimmungen gehören die Feststellung der Arbeitsunfähigkeit aufgrund persönlicher ärztlicher Untersuchung und zur Dauer der Arbeitsunfähigkeit. Ohne zwingende Vorgaben für die Parteien oder die Arbeitsgerichte darzustellen, handelt es sich um eine Zusammenfassung allgemeiner medizinischer Erfahrungs- und Grundregeln zur validen Feststellung der Arbeitsunfähigkeit (LAG Niedersachsen, a.a.O.).
[5] Es war auch keine mittelbar persönliche Vorstellung über eine Videosprechstunde erfolgt; die Angaben in der AUB gründeten sich auf die telefonischen Auskünfte der „Patientin“.
[6] Auch wenn es schwierig erscheint, dass ein Arbeitsgericht laienhafte medizinische Umschreibungen, zumal in einem sensiblen Gesundheitsbereich, mit einem gleichsam breit beschriebenen Krankheitsbild (Anpassungsstörung) abgleicht, ist dem LAG zweifelsohne zuzugeben, dass der Arbeitnehmer keinerlei substantiierten Erklärungen zu seiner vorgeblichen Arbeitsunfähigkeit abgegeben hat.
[7] Der Leitsatz lautet: „Der Text eines Kündigungsschreibens einer Eigenkündigung in Verbindung mit einer bereits vorher eingereichten Arbeitsunfähigkeit der Arbeitnehmerin sowie die Würdigung der Gesamtumstände nach einer Zeugenaussage des Arztes können den Beweiswert einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung erschüttern.“
[8] Denkbar ist auch, dass die derzeit sehr hohen Voraussetzungen für den einen Detektiveinsatz o. ä. rechtfertigenden Verdacht etwas abgeschwächt werden.