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Arbeitsrechtlich im Abseits – Die Verwandlung des Elfmeters… in die Kündigung?

  • Anja Kömpf
  • 14. Juni 2024
  • 5 Min. Lesezeit

Die Freude auf die Fußball-EM ist groß. Allerdings braucht der wahre Fan Zeit für sein Sommermärchen. Einige Spiele sind um 15.00 Uhr nachmittags und auch im Übrigen können die Aktivitäten eines Fans mit seiner Arbeit kollidieren. Wer steht nach einer Siegesfeier schon gerne früh auf?


Vor diesem Hintergrund ist einmal arbeitsrechtlich ein Blick auf gelbe und rote Karten, Flanken, Freistöße etc. zu werfen:


Zunächst ist es für einen fußballbegeisterten Arbeitnehmer nahe liegend, während der Fußball-EM Urlaub zu nehmen. Arbeitgeber haben grundsätzlich bei der zeitlichen Festlegung des Urlaubs den Wunsch eines Mitarbeiters zu berücksichtigen. Etwas anderes gilt jedoch, wenn der Urlaubsgewährung dringende betriebliche Belange oder Urlaubswünsche anderer Arbeitnehmer, die unter sozialen Gesichtspunkten den Vorzug verdienen, entgegen stehen, § 7 Abs. 1 BUrlG. Dringende betriebliche Belange sind etwa gegeben, wenn eine Unterbesetzung im Betrieb, ein besonderer Arbeitsanfall oder saisonale Besonderheiten bestehen. Falls ein Arbeitnehmer nur an einzelnen Tagen Urlaub begehrt (Spiele der eigenen Nation), muss der Arbeitgeber dem ebenfalls nicht ohne Weiteres nachgeben, da der Urlaub nach der gesetzgeberischen Intention zusammenhängend zu nehmen ist. Probleme organisatorischer Art können außerdem auftreten, wenn der Arbeitnehmer kurzfristig Urlaub nehmen möchte, etwa weil er noch in den Genuss einer Stadionkarte gekommen ist (z. B. Gewinnspiel). Tritt ein Arbeitnehmer, der sich gar nicht erst dem Risiko aussetzen möchte, dass sein Urlaubsantrag abgelehnt wird, eigenmächtig Urlaub an, droht ihm ohne vorherige Abmahnung eine fristlose Kündigung (vgl. BAG, Urt. v. 20.01.1994 – 2 AZR 521/93). Die Erbringung der Arbeitsleistung ist die Hauptpflicht des Arbeitnehmers im Arbeitsverhältnis; wer sich verweigert, geht vom Platz. Wer seine „Krankheit“ für den Fall der Ablehnung seines Urlaubsantrags ankündigt, riskiert ebenfalls eine fristlose Kündigung (BAG, Urt. 12.03.2009 – 2 AZR 251/07). Schließlich hat eine vorgetäuschte Krankheit arbeitsrechtliche Folgen, und zwar in der Regel ebenfalls eine (außerordentliche) Kündigung (vgl. LAG Hessen, Urt. v. 01.04.2009 – 6 Sa 1593/08).

 

Verlockend ist es auch, nach einer nächtlichen Siegesfeier etwas später zur Arbeit zu erscheinen oder umgekehrt, den Arbeitsplatz früher zu verlassen, um den Anpfiff pünktlich mitzuerleben[1]. Ist eine solche Verkürzung der Arbeitszeit nicht abgesprochen, stellt sie eine Pflichtverletzung des Arbeitnehmers dar, die den Arbeitgeber zunächst zur Erteilung einer Abmahnung (der gelben Karte) und im Wiederholungsfall zur Kündigung (rote Karte) berechtigt. Der Arbeitnehmer erhält für dieses schwere Foul selbstverständlich keine Vergütung. Der eine oder andere im Schichtdienst arbeitende Fußballfan wird auf ein fair play der weniger EM-freudigen Kollegen hoffen und versuchen, seine Schicht zu tauschen. Die Einteilung der Schichten unterliegt allerdings dem Direktionsrecht des Arbeitgebers: Ohne dessen Zustimmung handelt es sich beim eigenmächtigen Schichttausch um eine arbeitsvertragliche Pflichtverletzung.

 

In Anbetracht dieser weit reichenden arbeitsrechtlichen Sanktionen bietet es sich an, die Spiele am Arbeitsplatz zu verfolgen. In Betracht kommt zunächst, am Fernseher mit zu fiebern. Einen entsprechenden Anspruch haben Arbeitnehmer indes nicht. Der Arbeitgeber wird diesbezüglich zurückhaltend sein, erfordert das Fernsehen doch die Aufmerksamkeit seiner Mitarbeiter in einem Maß, das keine ordnungsgemäße Arbeitserbringung mehr gewährleisten dürfte. Geringer ist die Ablenkung bei einer Übertragung der Spiele im Radio; allerdings wird die Bereitschaft des Arbeitgebers, dies zu erlauben, auch stark von den betrieblichen Gegebenheiten (Geräuschkulisse, Kundenkontakt u. a.) abhängen. Die Mehrzahl der Fans wird auf eine Verfolgung der Spiele im Internet spekulieren. Dies setzt allerdings zunächst voraus, dass die private Nutzung des Internet im Betrieb überhaupt erlaubt ist. Auch wenn dieser Freistoß gegeben ist, ist aber jedenfalls die Verfolgung des ganzen Spiels kaum im Interesse des Arbeitgebers. Ein Quasi-Arbeitsausfall von 90 Minuten oder mehr ist eine beachtliche Einbuße. Was ist nun, wenn der Arbeitnehmer die Flanke über sein Handy nimmt? In dieser Hinsicht ist schon fraglich, ob der Gebrauch des privaten Handys am Arbeitsplatz erlaubt ist (Dazu interessant BAG, Beschluss v. 17.10.2023 – 1 ABR 24/22 – das Verbot der privaten Handynutzung am Arbeitsplatz während der Arbeitszeit kann auch ohne Zustimmung des Betriebsrats eingeführt werden). Im einen wie im anderen Fall wird jedoch auch die Verfolgung (fast) des ganzen Spiels am Handy ein schwerer Regelverstoß sein. Der Arbeitnehmer erfüllt zeitweise seine Hauptleistungspflicht nicht; im Einzelfall liegt ein Arbeitszeitbetrug vor. Hier droht eine Abmahnung, bei Wiederholung der fristlose Platzverweis. Hellhörig wird ein Arbeitgeber sicherlich dann, wenn ein Mitarbeiter just an den Fußballtagen im Home (TV) Office arbeiten möchte. Hier ist der Zeitverlust – gleich welches Medium genutzt wird – besonders schwer zu kontrollieren.

 

Auch die Initiierung von oder Teilnahme an Tippspielen kann die Arbeitszeit schmälern. Unproblematisch dürfte das Tippen in den Pausen erlaubt sein. Wird das Tippspiel sogar vom Arbeitgeber organisiert, müssen datenschutzrechtliche Gesichtspunkte bedacht werden.

 

Unabhängig von den Verstößen rund um die Arbeitszeit, stellt sich die Frage nach einer sonstigen arbeitsrechtlichen Narrenfreiheit etwa in Bezug auf das Tragen von Trikots, Schals und anderen Fanartikeln. Auch ein Dienstwagen mag mit einer Dekorierung in den Nationalfarben erst richtig zur Geltung kommen. Hier ist zu unterscheiden: Ist eine bestimmte Berufskleidung vertraglich oder berufsspezifisch vorgeschrieben, stellt ein „Trikotwechsel“ einen arbeitsrechtlichen Pflichtenverstoß dar. Häufiger wird es aber darum gehen, ob die Statussymbole des Fußballfans im beruflichen Umfeld stören, zum Beispiel während einem Kundenkontakt. Hiernach richten sich dann auch die Rechtsfolgen.

 

Was ist nun, wenn sich der Arbeitnehmer beim Fußballschauen oder -feiern verletzt und arbeitsunfähig wird? Gemäß § 3 Abs. 1 Entgeltfortzahlungsgesetz hat ein durch Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit an seiner Arbeitsleistung verhinderter Arbeitnehmer einen Anspruch auf Fortzahlung des Entgelts, sofern ihn kein Verschulden trifft. Beginnt ein vom Spiel enttäuschter Arbeitnehmer eine Schlägerei, gibt es auch außerhalb des Spielfelds doppelt Ärger: Die Arbeitsunfähigkeit ist verschuldet, demnach schuldet der Arbeitgeber keinen Lohn. Dagegen hat der siegberauschte Arbeitnehmer womöglich auch ein paar Sternstunden später noch einige Ballumdrehungen Alkohol im Blut – Arbeitsunfähigkeit also ja, Entgeltfortzahlung nein.

 

Ist eigentlich der Betriebsrat auf dem Platz? Gemäß § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG bestimmt der Betriebsrat bei Fragen der Ordnung des Betriebs und des Verhaltens der Arbeitnehmer im Betrieb mit. Hierher gehören Fragen der Radio-, Fernseh- und Internetnutzung, aber auch des (moderaten) Alkoholkonsums im Betrieb. Ferner ist die Lage der Arbeitszeit in § 87 Abs. 1 Nr. 2 und die Verkürzung oder Verlängerung der Arbeitszeit in § 87 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG aufgeführt und mitbestimmungspflichtig. Kommt es während der EM also zu Veränderungen in diesem Bereich, richtet sich die Kamera auf den Betriebsrat.

 

Jetzt bleibt nur, allen Freunden des gepflegten Rasensports eine spannende EM zu wünschen!    



[1] Genau in die andere Richtung geht die in NRW geltende aufgrund einer Allgemeinverfügung erlassene Ausnahmebewilligung nach § 15 Abs.2 ArbZG. Für den Zeitraum vom 15. Mai bis 31. Juli 2024 dürfen abweichend von § 3 und § 11 Absatz 2 ArbZG Personen, die zur Vorbereitung, Teilnahme, Durchführung und Nachbereitung der UEFA EURO 2024 beauftragt oder akkreditiert werden, täglich (erforderlichenfalls auch an Sonn- und Feiertagen) bis zu 12 Stunden beschäftigt werden, wobei eine wöchentliche Höchstarbeitszeit von 60 Stunden nicht überschritten werden darf. Die vollständige Regelung ist unter folgendem Link nachlesbar: https://www.bezreg-koeln.nrw.de/system/files/media/document/file/arbeitsschutz_allgemeinverfuegung_em2024.pdf.

 

 
 

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