top of page

Gelegentlich zu unserer Zufriedenheit – Das Arbeitszeugnis und seine verhängnisvolle Sprache

  • Anja Kömpf
  • 19. Mai 2024
  • 4 Min. Lesezeit

Es ist tragikomisch, wenn ein Arbeitnehmer sich über den scheinbar positiven Text des ihm vom Arbeitgeber ausgestellten Arbeitszeugnisses freut, eben dieser ihm aber die Chancen bei den nächsten Bewerbungen vermasselt.


Der Grund liegt dann in der verklausulierten Zeugnissprache, die durch Verwendung vordergründig positiver Formulierungen regelrechte Gehässigkeiten bereit hält.

Worum geht es?


Gemäß § 109 I GewO hat ein Arbeitnehmer bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses einen Rechtsanspruch auf ein schriftliches Arbeitszeugnis. Das kann entweder ein einfaches Zeugnis sein, § 109 I 2 GewO, oder ein qualifiziertes Zeugnis, § 109 I 3 GewO. Das einfache Zeugnis weist die Art und Dauer der Tätigkeit aus, wohingegen das qualifizierte Zeugnis zusätzlich ein Urteil über die Leistung und das Verhalten des Arbeitnehmers enthält. Unter bestimmten Voraussetzungen (z. B. Vorgesetztenwechsel, Betriebsübergang) kann auch ein Zwischenzeugnis beansprucht werden.


Das Gesetz verlangt Schriftform; nach § 109 III GewO ist eine Zeugniserteilung in elektronischer Form explizit ausgeschlossen. Das Zeugnis muss auch eigenhändig unterschrieben werden. Hier findet sich bereits ein Schauplatz für Boshaftigkeiten: Chefs haben schon in krakeliger Kinderschrift oder mit Bleistift unterzeichnet oder ihre Unterschrift schräg zum Text laufen lassen (vgl. LAG Hamm, Beschluss v. 27.07.2016 – 4 Ta 118/16). Das kann ein Arbeitnehmer erfolgreich beanstanden. Gemäß § 109 II 2 GewO darf das Arbeitszeugnis keine Merkmale oder Formulierungen enthalten, die den Zweck haben, eine andere als aus der äußeren Form oder aus dem Wortlaut ersichtliche Aussage über den Arbeitnehmer zu treffen. Sinnentsprechend zusammengefasst darf das Zeugnis keine sog. unzulässigen (negativen) Geheimzeichen ausweisen. Ein missliches Bild gibt das Zeugnis etwa auch ab, wenn es Fett-, Tinten- oder andere Flecken aufweist. Freilich ist in derartigen und weiteren Fällen das Unvermögen ungeübter Zeugnisverfasser nahe beim Unwillen verärgerter Arbeitgeber. Zur geschuldeten äußeren Form des Arbeitszeugnisses gehört auch, dass es auf dem aktuellen Firmenbriefpapier erstellt wird. Das Zeugnis muss außerdem orthografisch fehlerfrei sein. Unterzeichnen muss ein Vorgesetzter bzw. eine in der Hierarchie über dem zu Beurteilenden stehende Person.


Zu den erforderlichen Angaben zählen das Datum, die Dauer der Beschäftigungszeit (das Ende ist der rechtliche Beendigungszeitpunkt) und die Art der Tätigkeit. Hinsichtlich letzterer sind die Berufsbezeichnung bzw. das Berufsbild, das Aufgabengebiet, ggf. die hierarchische Position, Beförderungen, Spezialisierungen u. a. aufzuführen. Das Arbeitszeugnis hat dabei den Grundsätzen der Wahrheit, Vollständigkeit und Klarheit zu entsprechen und muss mit Wohlwollen verfasst werden. (Über das Spannungsfeld von Wahrheitspflicht und Wohlwollen kann man an anderer Stelle nachdenken – hier soll der Hinweis auf das dominierende Wahrheitsgebot genügen, so dass dem Arbeitnehmer nur innerhalb der Wahrheitsgrenzen das berufliche Fortkommen durch ein wohlwollend verfasstes Zeugnis ermöglicht werden soll.)

Auch hier hat ein verstimmter Arbeitgeber Raum, um den vermeintlich für den Arbeitnehmer günstigen Text mit einer Negativbotschaft einzufärben:  Die Darstellung völlig unbedeutender Tätigkeiten vor den Hauptaufgaben oder die ermüdende Aufzählung von Belanglosigkeiten gehören hierzu.


Die Leistungsbeschreibung endet mit einer zusammenfassenden Bewertung. Die Praxis bedient sich ganz überwiegend einer Zufriedenheitsskala, die einer Notenvergabe entspricht. Seinerseits sehr zufrieden kann derjenige Zeugnisempfänger sein, dessen Aufgabenerfüllung mit dem Etikett „stets zu unsere vollsten Zufriedenheit“ versehen wird – das entspricht „sehr gut“. Die Verunstaltung der Sprache ist schwer erträglich; gleichwohl ist die so formulierte Botschaft für den Arbeitnehmer erstrebenswert, fühlt sich doch in der Eile manch einer bei der Durchsicht der Bewerbungsunterlagen mit dem Scanner-Blick nach der Zufriedenheitsnote bestens informiert. Die Notenskala reicht dann über „stets zu unserer Zufriedenheit“/ „zu unserer vollsten Zufriedenheit“ („gut“), „zu unserer vollen Zufriedenheit“/ „stets zu unserer Zufriedenheit“ („befriedigend“), „zu unserer Zufriedenheit“ („ausreichend“) hinunter bis „im Großen und Ganzen zu unserer Zufriedenheit“ („mangelhaft“) und gar „hat sich bemüht, die übertragenen Arbeiten zu unserer Zufriedenheit“ („ungenügend“). Diese beiden letzten Notenstufen dürften sehr selten sein; in einer Bewerbung können solche Zeugnisse jedenfalls nicht ernsthaft auftauchen. Der häufige Streit der ehemaligen Arbeitsvertragsparteien um die „richtige“ Beurteilung bedarf einer klaren Verteilung der Beweislast: Nach ständiger Rechtsprechung obliegt es dem Arbeitnehmer darzulegen und im Streitfall zu beweisen, dass er überdurchschnittliche (besser als „befriedigend“) Arbeit geleistet hat; der Arbeitgeber muss umgekehrt eine unterdurchschnittliche Leistung dartun und beweisen. Es liegt auf der Hand, dass sich der Arbeitnehmer schwer darin tun wird, eine gute oder sehr gute Leistung zu beweisen. Immer wieder ruft die Beweislastverteilung Kritik hervor: Seit längerem schon besteht die Tendenz, ausscheidenden bzw. ausgeschiedenen Arbeitnehmern gute oder sehr gute Leistungen zu bescheinigen. Offenbar wollen Arbeitgeber dem Ex-Mitarbeiter nicht „nach treten“, wenn man sich – sogar erleichtert – trennt und Ärger vermeiden, zumal das Ausstellen des Zeugnisses kein Geld kostet (weswegen Arbeitgeber in arbeitsgerichtlichen Abfindungsvergleichen im Kündigungsschutzprozess eher bereitwillig angenehme Zeugnisse zusagen). Dennoch bleibt das Bundesarbeitsgericht bei der geschilderten Beweislastverteilung.


Auch bei der Beurteilung des Verhaltens des Arbeitnehmers haben sich „Noten“ eingebürgert: Ein sehr gutes Verhalten wird mit „stets vorbildlich“ bezeichnet. Weniger schön ist es für den Arbeitnehmer am anderen Ende der Skala, wenn es heißt: „im Großen und Ganzen einwandfrei“ („mangelhaft“). Auch hier gibt es Raum für codierten Unmut: Das soziale Verhalten des Arbeitnehmers wird üblicherweise als „Verhalten gegenüber Vorgesetzten, Mitarbeitern, und Kunden/ Geschäftspartner“ charakterisiert. Eine andere Reihenfolge oder das Weglassen einer Personengruppe ist in der Regel ein negatives Urteil, zumindest aber verdächtig. Belächeln kann nur der, der nicht betroffen ist, Wendungen zum Sozialverhalten des Arbeitnehmers wie „Seine umfangreiche Bildung machte ihn im Betrieb zu einem gesuchten Gesprächspartner“ – übersetzt: „Er war geschwätzig und führte bei der Arbeit Privatgespräche“. Verheerend ist eine Charakterisierung des Arbeitnehmers als „einfühlsam für die Belange der Belegschaft“  – offenbar hat er seine Aufgabe im Suchen sexueller Kontakte am Arbeitsplatz gesehen. Auch die Attribute „gesellig“ (Kartenspielen, Alkohol am Arbeitsplatz) oder „intensiv seine Auffassung vertretend“ (vorlaut) sind für den Arbeitnehmer nicht erstrebenswert.


Auf die oft begehrte Schlussformel – der Arbeitgeber dankt dem Arbeitnehmer für die Zusammenarbeit und wünscht ihm für die Zukunft „alles Gute“ - besteht kein Anspruch des Arbeitnehmers (BAG, Urt. v. 20.02.2001 – 9 AZR 44/00). Ist eine solche Wendung zwar im Zeugnis enthalten, aber ungünstig, kann der Arbeitnehmer also nur ihre Entfernung, aber keine Verbesserung verlangen. (Ist allerdings die Schlussformel positiv, darf der Arbeitgeber sie später nicht entfernen, wenn der Arbeitnehmer andere Passagen des Zeugnisses zu Recht geändert haben will, vgl. BAG, Urt. v. 06.06.2023 – 9 AZR 272/22). Ungünstig ist zum Beispiel die Formulierung „Wir wünschen ihm alles Gute, vor allem Gesundheit“ - unter geübten Zeugnislesern ist sie als Hinweis auf nennenswerte krankheitsbedingte Fehlzeiten zu verstehen.

Entspricht das dem Arbeitnehmer erteilte Zeugnis nicht den formellen oder materiellen Anforderungen, hat der Arbeitnehmer einen Anspruch auf Berichtigung. Bei der Berichtigung besteht allerdings weiterhin ein Ermessens- und Beurteilungsspielraum des Zeugnisausstellers; die verbreitet so genannte „Formulierungshoheit“ liegt beim Arbeitgeber. Entgegen dieser Dogmatik sind die Arbeitsgerichte aber mittlerweile großzügig darin, sogar vom Arbeitnehmer weitgehend oder vollständig selbst verfasste Zeugnisse anzuerkennen. Man erlebt es sogar, dass Arbeitsrichter selbst im Gerichtstermin eigene Zeugnispassagen diktieren.

 
 

Aktuelle Beiträge

Alle ansehen
bottom of page